Süß und kalt
By shanses72@… (Assets)
Copo!
Ganz vielen lieben Dank, Kim, das war großartig und hat irre viel Spaß gemacht, auch die gegenseitige Charakterrecherche und das Nachlesen einiger RPG oder uralter Dinge. Ich freu mich auf weitere Plots, auch mit den Kindern 🙂
Viel Spaß auch Euch beim Lesen!
<RPG>
# Zeit: MD 02.2340
# Ort: K7 – Zugang zur Hephaistos
<QUOTE>
„Ettore, Sam, das ist Jynah Ros“, stellte er vor, „Jy, Du kennst Sam ja,
Ettore, mein zweiter Offizier.“
Die Technikerin gab artig die Hand, allerdings ein wenig irritiert, dass
dieser Mann nur einen Arm hatte, wie sie selbst. Im Gegensatz zu ihr
hatte er nicht einmal eine Prothese.
</QUOTE>
Ettore ergriff die ihm dargebotene Hand und hielt kurz inne. Sie fühlte
sich irgendwie falsch an. „Oh“ entfuhr es ihm wissend, als ihm klar
wurde, dass es sich um eine künstliche Hand handeln musste. Anstatt die
Hand anzuschauen, sah er die Frau an, zu der sie gehörte. Im Gesicht
konnte er Unsicherheit und Verzweiflung, Wut und Hoffnung erkennen.
Er neigte Kopf und Oberkörper, deutete eine Verbeugung und einen
Handkuss an.
„Ihr ergebenster Diener, Ma’am“, sagte er und ließ die Hand los. Diese
blieb noch für einen Augenschlag in der Position, bis sie wieder an die
Seite der Frau zurücksank. Jynah Ros lächelte freundlich, aber es wirkte ein wenig traurig.
<QUOTE>
„Guten Abend. Ich wollte eigentlich auch gar nicht stören, aber… falls
Du einen kurzen Moment Zeit hast, Shay, wäre ich sehr dankbar.“
Shay Ruthven schloss die Augen. Was würde nun wieder kommen? Dann nickte
er: „Einen Moment.“
Er wandte sich an seine beiden Offiziere und Freunde: „Geht doch
schonmal vor, ich komme gleich nach.“
</QUOTE>
„Wer war das?“ erkundigte sich Ettore. Der Name Ros ließ irgendwie nichts
bei ihm Klingeln. „Shay hat uns nur mit Vornamen vorgestellt. Das ist
doch seltsam.“
„Oh, das ist eine Geliebte von Shay“, sagte Sam schulterzuckend, während
sie weiter gingen, als sei es das Selbstverständlichste, dass auf
Offiziers-Kennlerntreffen Verflossene des Skippers auftauchten.
„Was?“ Ettore war entsetzt. Wieviele Geliebte hatte der Skipper eigentlich.
„Von früher! USS Avalon, als er noch CSO war“, beschwichtigte Sam.
„Hmm“. meinte Ettore. Irgendwie tat ihm Elisa leid. Sie durfte sich als
einzige Ehefrau des Captains nennen, auch wenn der anscheinend auf junge
Unteroffizierinnen stand.
„Sie war… verheiratet mit Shay in Arcadia“, erklärte Samantha, „Es müssen Erinnerungen von Shay gewesen sein. Vielleicht auch von mir.“ Sie zuckte mit den Schultern. Es war lange her. Die Zeit in dieser seltsamen Welt war sehr merkwürdig gewesen.
“Ich kann mich an die Zeit in Arcadia nicht erinnern”, meinte Ettore. “Mel auch nicht. Manche Personen wirken einem etwas näher, aber das war es schon. Mit solchen Offenbarungen hätte ich nicht gerechnet.”
Ettore überlegte, sollte er Samantha weiter über diese Frau ausfragen, ihre Geschichte? Diese Jynah hatte beinahe verzweifelt geklungen, als sie Shay ansprach. Dann aber fuhr Samantha direkt fort: „Sie war auf der Brücke gestern. Tauchte da einfach auf, grüßte freundlich und Shay nahm sie mit in den Bereitschaftsraum.“
Ettore stolperte beinahe: „Wie kam sie dahin?“
„Aus dem Turbolift marschiert, als ob nichts dabei wäre. So weit ich weiß, ist sie als Technikerin sehr begabt. Wir haben damals einige Holodeckspiele zusammen gespielt und uns in der Bar der Avalon unterhalten. Im Camelot“, erinnerte sich die erste Offizierin, aber das alles war Ewigkeiten her. „Das war vor Elisa. Und danach dann irgendwann wieder“, versuchte Sam einzuordnen, „glaube ich.“
Allein diese Hochzeit war ein einziges Chaos gewesen. Eigentlich hätte jemand ganz anderes heiraten sollen, nicht Shay und Elisa. Der Admiral, der die Trauung von Akira Silverhawk und Assets Careen – Elisas Adoptivsohn – vornehmen sollte, hatte, betrunken, Shay und Elisa dann verheiratet, nachdem der frühere Verlobte der eigentlichen Braut auftauchte, diese schwer verletzte und Shay den Bräutigam niederschoß und betäubte, bevor der den anderen Mann umbringen konnte. Der starb trotzdem auf der Krankenstation, die Todesursache wurde nie richtig geklärt. Herzversagen.
<nrpg: Akira ist Asgonidin, sie hat ihrem Ex all ihre Verzweiflung und Angst und Trauer über eine empathische Verbindung geschickt und ihn damit getötet>
Bei der Beschreibung des Turbolifts musste der Italiener lächeln. “Und Du meinst nicht, dass es da ein Sicherheitsleck gibt, das wir vor der Mission noch dringend schließen sollten?” erkundigte er sich. “Was wäre, wenn nicht die Verflossene, sondern sagen wir mal, eine allgemeingültigere Gefahr aus dem Lift käme?”
“Ja, habe ich auch schon gedacht und die Sicherheit mit einem Check-Up beauftragt”, meinte Sam und gähnte dann ausführlich, “Ich lasse mir morgen ein Update geben. Aber heute war schon lang genug. Soviele Leute.”
“Dann wünsche ich erholsamen Schlaf und süße Träume.” Ettore war stehen geblieben und winkte Sam zum Abschied. “Ich bin bis Abflug bei der Familie.” Er deutete hinter sich Richtung Raumstation.
**********
Jynah war froh, dass Shay ihr zugehört hatte. Die Umarmung hatte gut getan, sie ein wenig Mut und Kraft finden lassen, aber da war diese Angst. Angst, getrennt zu werden von ihrem Sohn, Angst, noch mehr dieser Erlebnisse durchmachen zu müssen, wie in den letzten Monaten. Angst, dass Shay ihr doch nicht helfen würde, trotz aller Versprechungen.
Wer war sie denn schließlich noch für ihn? Eine Ex-Geliebte, Ex-Mätresse, Ex-Konkubine neben seiner Frau. Sie hatte ihn geliebt und trotz der Beteuerungen, dass auch er sie geliebt _hatte_, diese Zeit war wohl vorbei, auch wenn sie sich noch so sehr wünschte, sie wäre es nicht. Sie war das Spielzeug, dass er in die Ecke geworfen hatte, als er es nicht mehr benötigte. So, wie er es vorhersagte, damals.
Die Kraft, um weiter zu gehen, hatte sie nicht. Sie lehnte sich an die Wand, sackte daran herunter, zog die Knie an den Körper und umschlang sie mit den Armen.
Gedanklich befasste Jynah sich mit einem Ausweichplan. Sie musste sich und ihren Sohn in Sicherheit bringen, irgendwie. Shay hatte ein anderes Leben. Sein Schiff und seine Mannschaft, seine verdammte _Pflicht_, gingen vor, selbst vor seinem Sohn. Das hätte sie sich denken können, aber sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Nun saß sie hier, mit Versprechungen, von denen sie nicht wusste, ob sie wirklich zutrafen. Oh, er hatte das ernst gemeint, als er es sagte, da war sie sicher. Und dann würde wieder etwas dazwischen kommen. Ein Akira-Klon, eine Melissa Andrews, eine Carmen Milagros, eine Trish Greene oder was auch immer und es wäre ihm egal was dann mit Jynah passierte und er würde alles vergessen in den Armen irgend einer anderen Frau oder vielleicht auch eines anderen Mannes, wie seinem Therapeuten damals in Schottland, und Jynahs Leben wäre am Ende erneut zerstört.
So sank sie zusammen am Rand des Weges. Ungeweinte Tränen in den Augen, die sie krampfhaft zu unterdrücken versuchte und mit aller Macht zurückdrängte, die sie noch aufbringen konnte. Sie würde ihm ein wenig Zeit geben, die Hoffnung war da, dass er doch noch helfen würde, aber sie konnte sich nicht völlig darauf verlassen. In letzter Konsequenz müsste sie desertieren. Verschwinden. Nie wieder auftauchen und alles andere bis auf Shay Junior zurücklassen. Das war die einzige andere Möglichkeit. Und sie war furchtbar. Die Konsequenzen wären grausam, sollte sie erwischt werden. Das wäre ihre allerletzte Option.
Mitten hinein in diese Überlegungen sah sie mit verschleiertem Blick den Mann auf sie zukommen, den Shay ihr vorhin vorgestellt hatte. Ettore? So hieß er wohl. Sollte sie besser flüchten und ihm aus dem Weg gehen? Er war freundlich gewesen bei der Begrüßung, auf eine altertümliche, galante Art. Aber vielleicht ging er auch einfach weiter und ignorierte sie, so wie sie hier saß. Kraft wegzulaufen hatte sie keine mehr.
“Ma’am”, sagte er mit sanfter Stimme und ging in die Knie. “Ist alles bei Ihnen in Ordnung?”
//Nein, natürlich nicht!// wollte sie sagen. Schreien! Aber sie fand keine Worte, stattdessen erschütterte sie ein Heulkrampf. Freundliche Worte, mitfühlend, in diesem Moment zu viel, das letzte bisschen Kraft schwand.
“Nicht doch, nicht doch. Kommen Sie”, er legte sich ihren Arm um die Schulter und Jyns Beine streckten sich automatisch. “Wohin darf ich Sie begleiten, Ma’am?”
“Ich.. ich weiß nicht”, flüsterte Jyn leise. Dann begann sie wieder zu schluchzen.
Ettore blickte in das Gesicht der Frau und jetzt erkannte er die junge Frau, die vorhin so eindringlich auf Shay eingeredet hatte.
“Aber, aber…dann kommen Sie erst einmal mit zu mir”, schlug er vor. Jyn ließ sich wortlos abschleppen, allein hätte sie es nicht einmal geschafft aufzustehen, aber die Schritte in Begleitung des Mannes ging sie wie in Trance. Einige Zeit später waren sie vor dem Interims-Quartier der Familie. Als die Tür aufglitt, schafften sie es gerade noch bis zur Couch, auf die sie mehr schlecht als recht stolperten und Jynah dort sichtlich in sich zusammenfiel.
Ettore betupfte sich vorsichtig mit einem Taschentuch die Stirn. Das Herumführen war sehr anstrengend gewesen.
Von dem Lärm aufgeweckt kam Mel in einem hauchzarten Negligé mit einem weiten Morgenmantel um die Ecke. “Ist der Abflugbefehl da?” fragte sie besorgt. Dann sah Sie die zusammengesunkene Jynah auf dem Sofa. “Oh, wer ist das?”
“Das ist Miss oder Mrs Ros”, erklärte Ettore. Da er nur wenig über sie wusste entschied er sich für eine neutrale Erklärung: “Sie kennt Shay von früher. Und wie mir scheint, hatte sie gerade einen kleinen Nervenzusammenbruch. Könntest Du bitte ein Glas Wasser und ein paar Taschentücher holen, Schatz?”
“Ich … äh ja.” sie entschwand. Ettore suchte in einem der Schränke nach einer Wohndecke, die er beim Einzug gesehen hatte. Als er sie gefunden hatte, legte er sie vorsichtig Jyn über die Schulter.
Melody kam mit dem Wasser und den Taschentüchern. Sie stellte beides vor Jyn ab. Dann zog sie den Morgenmantel enger um sich und setzte sich hin.
Jyn wischte sich mit dem Ärmel ein wenig die Tränen aus dem Gesicht. Dann griff sie zu dem Glas. Auf dem Weg zum Mund begann sie zu zittern. Sie verfluchte diesen furchtbaren Arm, mit dem sie noch nicht mal ein Glas Wasser trinken konnte, wenn sie emotional aufgewühlt war. Das Wasser schwappte über den Glasrand hinaus. Da spürte sie, wie das Glas plötzlich leichter wurde. Mel hatte die Bemühungen der Frau bemerkt und wortlos unter das Glas gegriffen und stabilisierte so die Bewegungen. Wenn sie gemerkt hatte, das es sich um einen künstlichen Arm, eine künstliche Hand handelte, so ließ sie sich nichts anmerken. Es war eine selbstverständliche Geste, eine Geste, die zeigte, jemand war es gewohnt schnell Hilfestellung zu geben. Jyn konnte ein paar Schlucke trinken und schließlich das Glas sogar wieder absetzen.
Zu ihrem Erstaunen stellte sie fest, dass von beiden Personen kein Mitleid ausging, auch wenn sie sicher einen erbärmlichen Anblick abgab. Beide zeigten echtes Mitgefühl, Interesse und sogar etwas Neugierde.
“Ähm. Meine Frau Melody Loona, mein Name ist Ettore Ludovico della Scala”, stellte Ettore sie beide vor. “Möchten Sie vielleicht darüber sprechen, was passiert ist?” fragte er höflich.
Einen kurzen Moment schloss Jynah die Augen. Wollte sie darüber sprechen, über all das, was ihr im Kopf herum ging, mit fremden Menschen? Auch wenn sie nett und freundlich waren, sie aufgenommen hatten, es war ihr immer schwer gefallen, andere mit ihren Sorgen und Nöten zu belasten, in den meisten Fällen hatte sie alles in sich hinein gefressen und mit sich selbst ausgemacht. Sie hatte sich immer für unabhängig und stark gehalten, für jemanden, der mit jeder Situation schon irgendwie zurecht kommen würde. Sie hatte immer alles irgendwie überlebt, mit sich selbst ausgemacht, hatte selten geklagt über ihr Schicksal, die Zähne zusammengebissen und weiter gemacht. Früher für ihren Traum, den Pulitzerpreis zu gewinnen, eine Reportage zu erzeugen, die es wert war, von jedem gelesen zu werden. Einen Skandal aufzudecken oder über ein geschichtliches Ereignis zu berichten.
Jetzt, mit ihrem Sohn, war dieser Traum ein wenig in den Hintergrund geraten und sie trug nicht nur mehr Verantwortung für sich selbst, sondern für einen kleinen Jungen ebenso. Sie sah Ettore an, nickte vorsichtig: „Danke, ich… ich bin Ihnen sehr dankbar“, hauchte sie, während sie sich langsam fasste, die Gedanken konzentriert auf das Bild eines schwarzhaarigen Wuschelkopfes mit grünen Augen darunter, die denen seines Vaters so ähnlich waren.
„Ich… sollte zurück zu meinem Sohn, er ist vier Jahre alt, ich musste dringend kurz mit seinem Vater sprechen. Ich möchte Sie nicht mit meinen Problemen belasten, es ist freundlich von Ihnen, ich…“, Jynah brach ab, wie sollte sie all das erklären und eine Erklärung hatte der nette Offizier sicherlich verdient.
Ettore schaltete schnell. “Madonna!” entfuhr es ihm. Shay war der Vater des Kindes dieser Frau. Ein anderer Schluss kam nicht in Frage.
„Ich weiß nicht, Sie sind der zweite Offizier der Hephaistos und…“
Hilflos hob Jynah die Arme, der künstliche mit minimaler Verzögerung und erneut verfluchte Jynah in Gedanken dieses tote Stück Metall und Kunststoff, zusammen mit ihrem Schicksal.
„Ich sollte zurück auf die Artemis, eigentlich. Es war alles ein bisschen viel in letzter Zeit. Zu viele Dinge, die schief liefen.“
Jynah blickte auf den fehlenden Arm Ettores, dann auf ihre künstliche Hand. „Der Verlust meines Armes war da nicht einmal das Schlimmste, glaube ich…“
“Ja, genau. Ich bin der zweite Offizier und war früher der Counselor an Bord. Ich kenne es also, dass mir Personen von Problemen erzählen und es stört mich in keiner Weise, wenn es Ihnen doch hoffentlich dadurch besser geht” erklärte er. “Und ich kümmere mich als Botanikerin um die Pflanzen”, ergänzte Melody. “Natürlich nur, wenn die Zivilisten nicht von Bord empfohlen werden.” Sie stemmte entrüstet die Hände in die Hüfte.
“Ja, der Krieg… da werden selbst Invalide wie ich in die Führungsebenen der Schiffe beordert”, er klang etwas verbittert und dennoch troff es vor Ironie. Ein Humor, den Jynah in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehen konnte. Wie konnte er darüber einen Witz reißen? Sie starrte weiter auf ihre künstliche Hand und schluckte. Würde sie darüber auch mal Witze machen?
“Geben Sie sich ruhig Zeit … Miss?” fragte er nach.
Jynah nickte zur Bestätigung.
“Sie sind jeder Zeit willkommen, wenn Sie über das ‘ein bisschen viel’ sprechen wollen. Haben Sie keine Angst.” Bis dahin waren die Emotionen, die die Betazoidin spürte interessiert, aber nicht aufdringlich gewesen. Auch die Frau schien es für völlig normal zu halten, dass nach Mitternacht heulende Frauen auf ihrem Sofa landeten. Allerdings merkte sie, dass die Stimmung sich änderte und ihr nun echte Neugierde aber auch große Freude entgegenkam.
“Aber warum hat Shay nie erzählt, dass er einen Sohn hat. Das ist wunderbar! Unser Erstgeborener ist im gleichen Alter!” Mel und Ettore strahlten Jyn freudig an.
Diese beiden vor ihr waren wirklich nett, das erkannte Jynah und sie verstand auch, weshalb Ettore der zweite Offizier war. Shay hatte immer jemand ’netten‘ im Team benötigt, der sich um die Probleme kümmerte. Damals war dies wohl seine Büroleiterin Angel gewesen, die Frau, mit der Jynah auch unzählige Stunden verbracht hatte, um zu tratschen. Nett, aber auch bestimmt, wenn es sein musste.
„Shay… ich habe es ihm erst vor einigen Wochen erzählt, dass… dass er einen Sohn hat. Er hat…“, aber das war jetzt nicht wichtig. Es war nicht wichtig, dass Shay Ruthven ihr das Herz gebrochen hatte, es geradezu aus ihrer Brust gerissen hatte. Diese beiden guten Menschen vor ihr hatten zumindest eine Erklärung verdient, weshalb Jynah so am Ende war, warum sie Angst hatte, weshalb sie sich ohnmächtig und hilflos fühlte.
„Sie… Das Flottenkommando… sie haben angeordnet, die Zivilisten der Artemis auf der Station zu lassen, aber sie bestehen auf der Erfüllung meines Vertrages. Ich soll meinen Sohn hier zurücklassen, aber ich soll mit der Artemis… er ist vier Jahre alt! Er hat nur mich, sein Vater…“, sie schniefte. Nun war es sowieso raus. „Ich habe versucht, Shay dazu zu bewegen, mich auf die Hephaistos zu bringen, zusammen mit unserem Sohn, damit wir zusammen sind. Shay Junior – ich habe ihn nach seinem Vater genannt – Ich kann ihn doch nicht allein zurücklassen! Ich kann das nicht, ich kann ihn nicht hier lassen und dann in diesen verdammten, götterverfluchten Krieg ziehen!“
Erneut kamen Tränen: „Wenn ich Shay verliere… da verliere ich lieber meinen anderen Arm auch noch im Plasmafeuer.“
Die beiden waren Eltern, sie würden es verstehen. Shay Ruthven und seine verdammte Pflicht, die vor allem anderen ging! Sein Schiff, seine Mannschaft, sein Job! Seine götterverdammten Regeln! Er hätte schon längst etwas unternehmen können! Wenn er nur gewollt hätte!
Mel war aufgestanden und hatte sich neben die Frau gesetzt und sie einmal kräftig umarmt. Dann hatte sie Jyns rechte Hand genommen und ihre darauf gelegt. So als wäre es nichts, als wäre es ganz normal. “Ich kann ihre Angst verstehen”, sagte sie.
Ettore musterte Jyn einen Augenblick, denn er merkte, da waren die seelischen Wunden allesamt noch sehr frisch. “Plasma…” sagte er in Gedanken. “Ein Unfall?”, fragte er dann nur.
“Ja, ich… “, sagte Jyn aber die Tränen quollen wieder hervor und erstickten ihre Worte. Aber vielleicht war es auch nicht wichtig.
“Es war erst vor kurzem, nehme ich an”, erkundigte sich Ettore vorsichtig.
“Ja, es war erst vor… Wochen”, schluckte sie, “alles brannte und dann hatte ich plötzlich dieses… dieses Ding an mir.” Sie hatte alle Abscheu in diese Worte gelegt.
“Wieviel vom Arm haben sie denn noch?”, fragte Ettore ruhig. Es war ganz sachlich, nicht aufdringlich und so hatte sie das Gefühl antworten zu können, es waren nur Antworten. Sie war nicht unter Druck, irgendwem Rechenschaft ablegen zu müssen.
“Etwa so.” Sie deutete etwa auf die Hälfte ihres Oberarms.
“Verstehe”, antwortete Ettore. Für ihn hörte sich das alles sehr gut an, aber er konnte verstehen, warum es Jyn überforderte. “Ich weiß, das wird sie jetzt nicht sehr überzeugen, aber ich kann Ihnen versichern, man kann sich an alles gewöhnen.” Er lehnte sich vor und sagte dann leise. “Eines Tages werden sie über jeden Zentimeter froh sein, den sie noch haben”, erklärte er.
Jyn riß überrascht die Augen auf. “Nie im Leben. Warum?” sie konnte nur staunen.
“Es ist ein eingespieltes Gefüge. Sie haben sicher noch viel eigene Muskelmasse und aktive Nervenenden. Wenn sie schon nach so kurzer Zeit so gut mit ihrem künstlichen Arm umgehen können, ist das sehr hoffnungsvoll für sie.”
“Hoffnungsvoll?” Jyn konnte es nicht glauben. Hatte sie sich getäuscht und die Leute waren nicht nett, sondern wohl eher verrückt.
“Ja, denn sie können ganz sicher das hier noch!” Er griff in die Obstschale und nahm einen Apfel, dann ließ er den Apfel mit einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk in die Luft fliegen, verpasste ihm mit den Fingern noch ordentlich Spin und fing ihn federnd auf. “Und nun Sie.”
Mel gab die Hand frei und irgend etwas in Jyn bewog sie dazu, den Apfel zu ergreifen und es zu versuchen. Es hätte fast geklappt. Das Handgelenk hatte etwas zu lange gebraucht und dann war der Apfel viel zu hoch geflogen. Sie konnte ihn nur mühsam mit beiden Händen auffangen. Aber ihr Ehrgeiz war geweckt. Sie ließ die anderen Gedanken kurz hinter sich und versuchte es erneut. Diesmal gelang das kleine Kunststück. Es kam ihr sogar ein kleines Lächeln über die Lippen.
Ettore nickte zustimmend. “Sehr gut. Darauf können Sie aufbauen. Wenn Sie es wollen. Es ist Ihre Entscheidung.”
“Und was auch immer ist. Natürlich kann ich mich um ihren Sohn kümmern, wenn Sie mit der Artemis ausrücken müssen. Meine Pflanzen sind ja alle an Bord der Hephaistos. Und auf einen Esser mehr kommt es auch nicht an. Nur Mut, Miss. Das Leben ist schön und kostbar, wir sollten es feiern!”, ermutigte Mel sie.
Das war ein sehr nettes Angebot, aber es half nicht. Shay bei für ihn fremden Menschen zurücklassen, auch wenn sie so nett waren, war etwas, das ihr unmöglich war. Sie hätte ihn ja auch mit Deniri und Risto hier lassen, müssen, den beiden au pair von Anders und Shay, die ebenfalls hierbleiben mussten, die Shay kannte, aber das war nun einmal kein Ersatz für die Mutter.
„Das… das ist sehr lieb, aber ich kann meinen Sohn nicht allein lassen. Wir waren noch nie lange getrennt, das längste war, als ich auf der Krankenstation war, da hat sich meine Freundin um ihn gekümmert. Ihr Sohn ist fünf und sie hat Shay für ein paar Tage bei sich aufgenommen, aber selbst da… ab dem zweiten Tag hat sie ihn jedes Mal mit zu mir gebracht. Ich… ich sah schrecklich aus. Meine ganze rechte Seite war voller frischer Haut, alles war verbrannt, der Arzt musste die Kleidung an einigen Stellen vom Körper trennen und…“ Sie schüttelte sich, allein bei dem Gedanken. Zumal der Arzt auch noch Corapara gewesen war, der Typ war absolut nicht ihr Fall und sie hatte ihn angezickt. Vielfach. Und ihrer Meinung nach zurecht, nachdem der sie auf dem Holodeck in eine blöde Situation gebracht hatte und als sie diese auf ihre Weise löste und alles auf Anfang setzte, war er beleidigt verschwunden.
„Ich kann das nicht, ich…“, sie fasste all ihre Kraft zusammen: „Ich werde ihn nicht hier lassen um in den Krieg zu ziehen, Shay hat mir versprochen, er lässt das nicht zu, aber… warum hat er nicht schon längst etwas unternommen?“
Warum, das wusste Jynah eigentlich ganz genau. Weil er mit anderen Dingen beschäftigt war.
“Sie müssen es ja auch nicht. Ich kann verstehen, dass Sie sich da zwischen zwei Pflichten entzwei gerinnen fühlen. Beantragen Sie eine Versetzung auf die Station. Es gibt auch hier genug zu erledigen. Bestehen sie auf Innendienst, um ihre Verletzung zu bewältigen. Sie sind ganz sicher kreativ, dass Ihnen etwas einfällt. Niemand sollte gezwungen werden, in einem Krieg zu kämpfen, wenn man nur mit der Hälfte seines Ichs dabei ist.” meinte Ettore. Er wusste, dass er auch seine bessere Hälfte auf der Station zurücklassen würde, aber für ihn war klar, dass die Pflicht zuerst kam. Koste es, was es wolle.
„Wenn es so einfach wäre…“, seufzte Jynah und blickte auf ihre Hand, die noch immer den Apfel hielt, „man hat mir zu verstehen gegeben, dass ich meinen Vertrag erfüllen müsse.“
Sie schauderte. „Zivilisten hätten von Bord zu gehen, die Mannschaft hätte ihre Pflicht zu erfüllen. Ich brauche eine aktive Anforderung, jemand, der weit genug oben steht in der Hierarchie, der diese Anforderung stellt. Danach habe ich… Möglichkeiten, diese Anforderung schnell umzusetzen. Ich habe ein paar Kontakte, die ich aktivieren kann, aber ohne diese Anforderung, werden wir getrennt, mein Sohn und ich. Und das ist etwas, mit dem ich nicht leben kann. Ich brauche Hilfe, ich kann das nicht alleine.“
Dieses Eingeständnis, ausgesprochen, tat weh. Es war viel zu viel Hilfe von anderen nötig in den letzten Wochen und sie hasste es. Sie hasste es, um Hilfe zu bitten und zu betteln. Selbst die Hilfe Elins oder Tams, die sie erhalten hatte, ohne zu fragen, brachte sie in die Lage einer Schuld ihnen gegenüber. Sie hatte immer alles irgendwie allein versucht zu durchstehen und oft war das gutgegangen.
Mel war wieder neben sie gerutscht, nahm ihr den Apfel aus der Hand und tätschelte diese. “Aber, aber”, sie lächelte und guckte der Betazoidin dann tief in die Augen. “Liebe Miss, jeder braucht mal Hilfe. Das ist ganz normal. Mal braucht man mehr, mal weniger. Das ist etwas, das mein Mann auch erst lernen musste: Es ist keine Schande, wenn man mal Hilfe braucht.”
Ettore zuckte schuldbewußt die Schultern. Ein Bild, dass auf Jyn wegen des fehlenden Arms etwas befremdlich wirkte. “Ja”, sagte er. “Sie hat vollkommen recht. Mir war das am Anfang auch unglaublich peinlich. Aber in Wirklichkeit ist es das nicht. Lassen Sie mich mal überlegen…” er war aufgestanden und ging ein wenig hin und her. Dann kam er mit einem Krug Wasser, goss Jyn ein frisches Glas ein und ging dann nochmal los, um sich selber eins zu holen und einzuschenken.
“Ich glaube, sie sollten mit der Ersten Offizierin der Hephaistos sprechen. Commander de Coster war früher XO von Commodore Ruthven. Und”, er unterbrach kurz, als er Jyn bei der Nennung des Namens laut aufstöhnen hörte, “Ja Commodore Ruthven ist hier FKOM-OPS und könnte sicher ein gutes Wort für Sie einlegen.”
Er nippte an dem Wasserglas. Dann lehnte er sich zurück und wickelte das eine Bartende gedankenverloren um seinen Finger. “Und ich würde mit Ihrem Bordarzt oder ihrem Bordcounselor sprechen. Sie sollten sich derzeit für nur eingeschränkt dienstfähig erklären lassen. Also keine Außeneinsätze, etc. Das würde einen Innendienst auf K7 auf jeden Fall rechtfertigen.” er lächelte Jyn fast spitzbübisch an. “Ich jedenfalls hätte keine Bedenken, Ihnen so ein Attest auszustellen. Leider ist das nicht in meiner Befugnis. Aber seit Sie hier sitzen, haben sie mehr als genug bewiesen, wie traumatisiert sie sind.”
Bei dem Wort ‘Trauma’ schrak Jyn zusammen.
“Kein Grund, Angst zu haben, Miss.” erklärte Ettore beruhigend. “Sie brauchen hier keine Scham haben, seien Sie einfach ganz Sie selber. Glauben Sie mir, ich habe auch Vieles von dem durchgemacht, was Sie durchleben. Ich vermute, es gibt keinen dunklen Ort, an den Sie Ihre Gedanken führen, den ich in meinen nicht ähnlich bereist habe. Das ist normal. Sie sind normal. Es gibt keinen Grund für Scham. Bitte, versuchen Sie das zu verstehen.”
Jynah nickte vorsichtig, dann aber schüttelte sie den Kopf: „Arzt und Counsellor sind die gleiche Person auf der Artemis und wir… kommen nicht gut miteinander aus, vorsichtig gesagt. Es ist kompliziert.“
Sei seufzte tief: „Alles ist kompliziert. Ich stehe sowieso mehr oder weniger unter Beobachtung der Führungsoffiziere, ich habe einige Probleme mehr an Bord und ich bin… in mehr als einer Problemlage. Die ganzen letzten Monate waren ein Tiefschlag nach dem anderen. Seit Japori…“
Einen Moment dachte sie an all die Leute, die sie dort gekannt hatte, die es nun nicht mehr gab. Ausgelöscht bei einem Überfall der Klingonen. Sie dachte an Mike Rainor, der sich vor sie gestellt hatte und von einem klingonischen Schwert durchbohrt worden war. An den Marine, der vor ihr in den Tod gestürzt war. An ihre eigenen Fehlentscheidungen, an alle Dummheiten, die sie begangen hatte. Ja, sie hatte auch andere retten können, nicht zuletzt das Schiff bei ihrem Einsatz unter dem Antideuteriumtank, unter dem diese verdammte Plasmaleitung Leck geschlagen war.
„Der Mann hasst mich, glaube ich, der Doc.“
Jynah schluckte. Da stand Wasser, aber sie brauchte etwas anderes, ein wenig Energie.
„Kann ich… eine Slug-O-Cola, kalt, mit Eis…“
Mel lachte: „Natürlich!“ und besorgte das Gewünschte aus dem Replikator.
„Danke“, murmelte Jynah, bevor sie einen großen Schluck der kalten, dunklen Flüssigkeit trank. Süss und kalt. So wie sie es früher gewesen war. Vor all dem. Selbständig und unabhängig, auf niemanden angewiesen. Stark. Eine Tigerin, die sich nahm, was sie wollte. Alles hatte sich verändert. Shay hatte sie verändert und noch mehr die ganzen Erlebnisse, seit er ihr das Herz zerquetscht hatte.
„Danke, Sie haben Recht. Ich brauche Hilfe. Und ich muss lernen, damit umzugehen.“
Ettore und Mel lächelten wissend.
</rpg>
<sum>
# Zeit: MD 02.2340
# Ort: K7 – Zugang zur Hephaistos
Ettore spricht mit Sam über die seltsame Begegnung mit der Technikerin und erfährt ein wenig über Jynah. Dann verabschiedet er sich. Auf dem Heimweg stolpert er über die am Boden sitzende Halbbetazoidin, hilft ihr auf und bringt sie mit ins das Quartier auf K7, wo Melody hinzukommt. Beide versuchen Jynah aufzubauen, sie sehen ihre Probleme und wollen gern helfen. Jynah findet es schwer, Hilfe anzunehmen, findet aber in Ettore und Mel Zuhörer und Ratgeber.
</sum>
submitted by
Kim und Assets
aka
LtCmdr. Ettore Ludovico della Scala, 2O, USS Hephaistos
CPO Jynah Ros, REP/TECH USS Artemis